„Jede und Jeder zählt“: Weiterbildungskonferenz NRW am Weltalphatag
Impulsvorträge und Beispiele aus der Praxis
Am 8. September, dem Weltalphabetisierungstag, fand im Landtag Nordrhein-Westfalen die diesjährige Weiterbildungskonferenz NRW unter dem Motto „Jede und Jeder zählt! Gemeinsam für Grundbildung und Teilhabe in NRW“ statt. Vertreter*innen aus Wissenschaft, Politik, Weiterbildung, Wirtschaft und Praxis diskutierten aktuelle Herausforderungen, notwendige bildungspolitische Maßnahmen und erfolgreiche Ansätze zur Förderung von Alphabetisierung und Grundbildung. Das Programm begann mit einer Anhörung von Sachverständigen aus der Wissenschaft und der gemeinwohlorientierten Weiterbildung vor Mitgliedern des Wissenschaftsausschusses. Am Nachmittag schlossen sich Impulsvorträge zu verschiedenen Aspekten der Grundbildung und ein Austausch mit Vertreter*innen aus der Praxis an.
Die Konferenz fand bewusst am Weltalphabetisierungstag statt: Vor dem Ende der AlphaDekade von Bund und Ländern (2016 – 2026) bestätigen die Ergebnisse der Studie „Programme for the International Assessment of Adult Competencies (PIAAC 2023)“ einen anhaltend hohen bildungspolitischen Handlungsbedarf auf dem Feld der Alphabetisierung und Grundbildung. Bereits in 2018 ermittelte die LEO-Studie der Universität Hamburg, dass 6,2 Millionen Erwachsene zwar Buchstaben, Wörter und einzelne Sätze lesen und schreiben können, jedoch Schwierigkeiten haben, längere zusammenhängende Texte zu verstehen. Die Zahl der Schulabgänger*innen ohne ersten Schulabschluss bleibt alarmierend hoch (Bertelsmann-Stiftung 2023) und unterstreicht ebenfalls die Notwendigkeit weiterer bildungspolitischer Bemühungen entlang der gesamten Bildungskette um gesellschaftliche und berufliche Teilhabe von Menschen mit Alphabetisierungs- und Grundbildungsbedarf.
Alphanetz NRW dauerhaft fördern
Der Landesweiterbildungsbeirat, in dem Weiterbildung, Wirtschaft, Wissenschaft und Kommunen vertreten sind, hat deshalb im Frühjahr 2025 einen Appell an die NRW-Landesregierung formuliert, sich auf Bundesebene für eine Fortsetzung der AlphaDekade einzusetzen und das Alphanetz NRW weiter zu fördern. Das Netzwerk umfasst inzwischen mehr als 150 Mitglieder. Die beim Landesverband der Volkshochschulen angesiedelte Koordinierungsstelle unterstützt die Träger im Feld der Alphabetisierung und Grundbildung.
Den Mitgliedern des Wissenschaftsausschusses verdeutlichten die Sachverständigen ihren breit gefassten Grundbildungsbegriff, der über Literalisierung hinaus weitere alltagsrelevante Kenntnisse umfasst – sei es im Umgang mit digitalen Medien, in der Gesundheitsvorsorge oder in der Bewertung politischer Prozesse. Wie kann es gelingen, Menschen mit Grundbildungsbedarf anzusprechen und zu ermutigen, sich auch im Erwachsenenalter Kenntnisse anzueignen, um sich neue Gestaltungsspielräume im beruflichen und privaten Leben zu eröffnen? Diese Frage stand im Mittelpunkt der Weiterbildungskonferenz.
Celia Sokolowsky, Vorstandsvorsitzende des vhs-Landesverbandes und eine der Sprecherinnen des Gesprächskreises für Landesorganisationen der Weiterbildung in NRW, hob in ihrem Statement vor dem Wissenschaftsausschuss die Bedeutung von Netzwerken hervor: „Gemeinsam mit Kooperationspartnern gelingt es besser, Menschen in ihrem unmittelbaren Lebensumfeld anzusprechen – sei es im Sportverein, im Betrieb oder in Stadtteilzentren.“
Beständigkeit als Erfolgsfaktor
Seit der Novelle des Weiterbildungsgesetzes fördert das Land NRW gezielt die Entwicklung regionaler Bildungslandschaften. vhs-Vertreter*innen berichteten in der Konferenz von wertvollen Kooperationen, die durch die Förderung nach Paragraph 13a auch in der Grundbildung möglich geworden sind. Sie forderten gleichzeitig bessere Möglichkeiten der Verstetigung vielversprechender Ansätze, seien doch gerade in der Grundbildung Beständigkeit und Verlässlichkeit wichtige Erfolgsfaktoren. Die einjährige Laufzeit erschwere zudem die Akquise von Mitarbeitenden, die gerade in der Grundbildung ein breites Qualifikationsprofil mitbringen müssen, um die diversen Lebenslagen potenzieller Teilnehmender angemessen berücksichtigen zu können.

Im Foyer des Landtags informierte das Alphanetz NRW über seine Arbeit. Auf Postkarten konnten Teilnehmende notieren, warum sie Grundbildung wichtig finden. Kern der Statements: Jede und jeder hat Bildungsbedarfe – und jede und jeder zählt.
Lernen durch Teilhabe
Bildungsbedarfe sind grenzenlos. Das gilt auch und gerade in der politischen Bildung. Darauf wies Dr. Helle Becker, Leiterin der Transferstelle politische Bildung, in ihrem Impulsvortrag hin. Aus gutem Grund muss niemand eine Prüfung ablegen, um politische Teilhabe zu beanspruchen. Und doch stärkt politische Bildung das Verständnis für komplexe Zusammenhänge, das kritische Urteilsvermögen und die Fähigkeit zur konstruktiven Auseinandersetzung. Learning bei doing, lautet sinngemäß die Empfehlung von Dr. Helle Becker. Nicht Teilhabe durch politische Bildung, sondern politische Bildung durch Teilhabe. Dies ermöglicht die Erfahrung von Selbstwirksamkeit von Anfang an: ein zentrales Prinzip der Grundbildung. Diese Erfahrung für alle zu ermöglichen, ist der Auftrag an die Politik.
Die Weiterbildungskonferenz NRW machte deutlich: Grundbildung betrifft uns alle. In einer sich rasant verändernden Welt ist lebenslanges Lernen unabdingbar. Dabei sind Netzwerke, Kooperationen und nachhaltige Förderstrukturen entscheidend, um Menschen mit Grundbildungsbedarf erfolgreich zu erreichen und zu unterstützen.