Der Weltalphabetisierungstag am 8. September lenkt jedes Jahr die öffentliche Aufmerksamkeit auf das anhaltend große Problem geringer Literalität in Deutschland. Die jüngste Studie aus dem Jahr 2018 beziffert die Zahl der Erwachsenen, die nur unzureichend lesen und schreiben können auf bundesweit 6,2 Millionen. In NRW sind schätzungsweise rund 1,4 Millionen Menschen betroffen. Als größtes Anbieter-Netzwerk von Kursen der Alphabetisierung und Grundbildung fordern die Volkshochschulen in NRW deshalb größere Anstrengungen von der Politik. „Die hohe Zahl gering literalisierter Menschen ist gesellschaftlich überhaupt nicht akzeptabel“, sagt die Vorstandsvorsitzende des vhs-Landesverbands“, Celia Sokolowsky. „Wenn wir die Demokratie stärken oder Fachkräfte gewinnen wollen, dann müssen wir gesellschaftliche und berufliche Teilhabe ermöglichen – und gerade jene fördern, die vor besonders hohen Hürden stehen, nämlich gering Literalisierte.“
Fachleute in Wissenschaft und Praxis wissen, dass es nicht leicht ist, Betroffene davon zu überzeugen, dass es auch im Erwachsenenalter gelingen kann, Lesen und Schreiben zu lernen. Im Rahmen der Nationalen Dekade für Alphabetisierung und Grundbildung, kurz: AlphaDekade, werden seit 2016 neue Wege der Ansprache von Betroffenen gesucht, neue Lernmethoden erprobt und das öffentliche Bewusstsein geschärft. „Die Dekade endet 2026. Die politischen Entscheider*innen auf Bundes- und auf Länderebene müssen sich schon jetzt über eine Fortsetzung verständigen und entsprechende Haushaltsmittel einplanen. Denn wir sind noch lange nicht am Ziel. Und wir dürfen nicht riskieren, dass unverzichtbare Grundlagenarbeit nach und nach zum Erliegen kommt, weil Projektlaufzeiten enden und es keine Vorsorge für die Zukunft gibt“, betont Celia Sokolowsky.
Der vhs-Landesverband NRW hat zum 1. August 2024 ein Grundbildungsprojekt im Rahmen der laufenden Alphadekade gestartet. Partner sind das Bildungswerk der Nordrhein-Westfälischen Wirtschaft e. V. (BWNRW) sowie Arbeit und Leben DGB/VHS NRW e. V. (AuL NRW). An den Volkshochschulen in Oberhausen und Herten sollen gering Literalisierte ohne Schulabschluss für den Einstieg in einen längerfristig angelegten Bildungsprozess gewonnen werden, der gleichzeitig auf die Vermittlung in eine qualifizierte Beschäftigung abzielt. Die Teilnehmenden erhalten individuelle Beratung und Unterstützung, damit die Lernwege bedarfsgerecht gestaltet und Abbrüche vermieden werden können.
Volkshochschulen in NRW nehmen auch in diesem Jahr den Weltalphabetisierungstag zum Anlass für besondere Aktionen und Veranstaltungen. So lädt beispielsweise die vhs Aachen zu einer Fachkonferenz ein, um zu erörtern, welche Chancen und Risiken die Künstliche Intelligenz für die Alphabetisierung und Grundbildung birgt. Eingeladen sind Fachleute aus den Bereichen Grundbildung, Zweiter Bildungsweg, Integration und berufliche Bildung.